Leserbriefe |
Samstag, 28.12.2002 | Drucken |
Leserbriefe
R. Neudeck zum ZMD i.S. Anschlag Pakistan schrieb:
Das Ende aller Sicherheit
Und eine gute Nachricht!
Das Jahr 2002 - gesehen vom Anfang des jungfräulichen
und unschuldigen Jahres 2003 aus
Brief an die Leser im Kosova
Von
Rupert Neudeck
Den 27.12.02
Das Jahr schließt blutig. Wir können uns kaum noch retten vor den Meldungen über Attentate und Explosionen, neue Massenvernichtungswaffen, Kriegsdrohungen, Imponiergehabe auf allen Seiten. Es sieht mit unserem Planet Erde nicht so gut aus in den letzten Jahren. Ein Krieg ging gerade zu Ende, da wird uns der nächste schon für das Ende des Januar 2003 angekündigt. Ja, so hört man es aus Washington, es könnte auch Anfang bis Mitte Februar werden.
In Tschetschenien ein Wechselbad der Ereignisse und der Empfindungen, der Propaganda und der Gegenpropaganda. Am einen Tag geben 26 Feldkommandeure der mittleren Ebene mitten in Grozny ihre Waffen ab und überlassen sich der von Moskau erklärten Amnestie für die tschetschenischen Freiheitskämpfer, die sich keine Verbrechen haben zuschulden kommen lassen. Eine ziemliche Zumutung für einen Staatsapparat, der nicht mal in der Lage ist, die Verbrechen der eigenen Seite einigermaßen zu stoppen und zu bestrafen.
Am nächsten Tag bricht die Hölle los in diesem Grozny, mitten in der Stadt fahren zwei LKWs bis vor das Regierungsgebäude. Wie sie das haben machen können, wo doch die Russische Armee die Stadt total unter Ihrer Kontrolle hat? Jedenfalls wanken aus diesem Gebäude alle möglichen zufällig anwesenden Tschetschenen und Russen heraus, schwach und schwerverletzt und aus den Trümmern werden noch Leichen geboren. Die BBC Abendnachrichten melden aus Gozny schon 46 Tote.
In Zimbabwe hat ein größenwahnsinniger Diktator mit Namen Robert Mugabe über 4000 weiße Farmer von ihren Ländereien und Höfen gejagt und dafür Parteigenossen seiner eigenen Partei auf die leeren Bauernhöfe gebracht: Enteignet ohne Entschädigung. Das Gefühl, daß damit einst koloniales Land dem Zimbabwe Volk zurückgegeben wird, ist ein gutes Gefühl, das ich teilen kann. Daß der Diktator seinem Volk damit aber mutwillig eine Hungersnot serviert und er die internationale Hilfsgemeinschaft mit großer Geste der Selbstverständlichkeit auffordert, schnell in die Lücke zu springen, die er selbst in seine eigene Wirtschaft gebrochen hat, das gleicht einem Skandal.
In Palästina, genauer auf der Westbank, wurde am zweiten Weihnachtstag auch wieder Jagd gemacht. Auf Palästinenser. Eine Israel Soldatentruppe erschoß in Tulkarem einen 28 jährigen Mann. Eine weitere Spezialeinheit erschoß in Ramallah einen palästinensischen Polizisten. Im Gazastreifen töteten Soldaten in der Nacht zuvor zwei Palästinenser bei dem Versuch, in eine jüdische Siedlung einzudringen.
In Bethlehem wurde am Fest der Liebe in der Geburtskirche am 24. Dezember die Mitternachtsmette gefeiert. Der lateinische Patriarch Michel Sabbah bekräftigte vor der Messe, für Israelis und Palästinenser sei die Zeit gekommen, ihre politische Führungen auszuwechseln. Am nächsten Tag war Bethlehem wieder total im Griff der israelischen Armee. Kinder durften wie alle Bewohner nicht mehr auf die Straße. Die Kinder haben mittlerweile fast 150 Tage Schulunterricht versäumen müssen - wegen der Ausgangssperre der israelischen Armee.
Nordkorea könnte in einem Jahr die eigene Atombombe besitzen, und damit seine Nachbarn, vor allem Süd-Korea und Japan bedrohen. Das ist Ende 2002 bekannt geworden. Nordkorea hatte in den Tagen nach Weihnachten nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA ca. 1000 neue Brennstäbe in den Reaktor der Atomanlage von Yongbyin installiert. Nordkorea hatte zum Entsetzen seiner Nachbarländer auch sämtliche Gebäude der seit 1994 von den UN gesperrten Anlage wieder ent-siegelt und entzog damit das Gebäude der Kontrolle der Internationalen Behörden.
In Islamabad wird eine Handgranate in eine katholische Kirche geworfen, die drei Mädchen sofort tötet. Zwei maskierte Männer hatten während eines protestantischen Weihnachtsgottesdienstes eine Handgranate durch das Portal in die Kirche geschleudert.
Aber wenigstens zu dieser letzten Terror-und-Gewalt-und-Blut-Nachricht gibt es eine gute andere. Ich hatte immer wieder mit dem Zentralrat der Muslime gesprochen, die in Deutschland sitzen und mit denen ich einen guten Gesprächskontakt habe. Mit dem Pressesprecher hatte ich immer wieder mich heftig gestritten. Wenn irgendwo auf der islamischen Welt Christen etwas geschieht, dann müßt Ihr deutsche Muslime protestieren und schreien!!
Und wenn in einem christlichen Land Muslimen etwas passiert, sie geschlagen, ermordet oder verwundet werden, dann müssen wir deutsche Christen etwas Klares sagen, protestieren und schreien!
So schloß das Jahr mit einem kleinen Triumph. Kaum war die Nachricht von dem grausamen Anschlag auf die Mädchen in der Kirche im Pandjab in Pakistan bekannt, da hatte ich schon die Meldung meiner muslimischen Freunde auf dem Tisch: Der Zentralrat verurteilt den Anschlag auf eine Kirche in Pakistan.
"Wieder einmal werden im Namen des Islam Menschen getötet und Gotteshäuser angetastet dieses Mal mitten in der Weihnachtszeit und während des Weihnachtsgottesdienstes. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) ist entsetzt über den Handgranatenanschlag auf eine Kirche in der Provinz Punjab in Pakistan, bei dem drei Menschen ums Leben gekommen und mehr als fünfzehn verletzt worden sind. Ein solches Verbrechen steht eindeutig im Widerspruch zur Lehre des Islam, der die Antastung von Gotteshäusern und die Tötung Unschuldiger verbietet."
"Mit derselben Eindeutigkeit", heißt es in dem Schreiben weiter - , "mit der der Zentralrat die Rechte der muslimischen Minderheit in Deutschland einfordert, verurteilt er die Verletzung dieser Grundrechte religiöser Minderheiten in der islamischen Welt." Darüber habe ich mich zum Jahresanfang 2003 ganz besonders dick gefreut. Die alten Lateiner sagten in einer solchen Situation: "Hoc meminisse iuvabit!"Es wird in schweren Situationen helfen, sich an dieses Beispiel zu erinnern.
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