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Leserbriefe

Dienstag, 15.07.2003



H. Ihmig: Alice Schwarzer unter den Kopftuchjägern schrieb:


Im SPIEGEL 26/2003 votiert Alice Schwarzer heftig für das Verbot eines bestimmten Kleidungsstücks in der Schule. Krieg um ein Stück Stoff?

Es geht ihr natürlich - gut deutsch - nicht um ein Stück Stoff, sondern `ums Prinzip`. Ums Prinzip nämlich, ob `dem Kopftuch alle deutschen Klassenzimmer` geöffnet werden. Terror im Anzug. Taliban. Alice möchte das verhindern und tadelt deshalb vorsorglich das Verfassungsgericht als naiv oder befangen, schon bevor es die Sache verhandelt. Fereshta Ludin's Kopftuch ist also nicht ihre Privatsache. Warum forscht Alice dann aber so peinlich nach deren "wahren Motiven" und "psychologisiert" eine Frage des Rechts?

Zum Glück sind wir noch nicht so weit, wie Alice meint, dass für bestimmte Kleidungsstücke eine verfassungsrechtliche Zulassung eingeholt werden müsste. Noch geht es nur darum, ob sie im Raum der Schule verboten werden dürfen. Dafür gibt es zwei Argumente: das eine lautet, dass das Kopftuch "kein zwingender Bestandteil des Glaubens für eine Muslimin" sei. Also könne man sich für seine Zulassung nicht auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit berufen. Das andere lautet, dass das Kopftuch ein weltanschauliches Symbol sei, das sich nicht mit dem Neutralitätsgebot des Staates vertrage. Nicht immer sind zwei Argumente besser als eines: dann nämlich nicht, wenn sie sich widersprechen.

Alice fährt grobe Geschütze auf:
das Anderssein von Kopftuchträgerinnen gefährdet die Universalität der Menschenrechte, - das müsste dann schon eine vierte Generation von Menschenrechten sein, neuerdings auf Kleiderordnung bezogen. Anderssein behindert die Integration - gewiss doch, wenn man Integration sagt und Assimilation meint.
Für Alice ist das Kopftuch kein Kopftuch, sondern "die Flagge der islamischen Kreuzzügler`.
Kreuzzügler? Ist das nicht die andere Seite? So genau nimmt Alice es bei ihrem Engagement gegen den islamischen Fundamentalismus nicht. Die `Mehrheit der Musliminnen und Muslime wird der Minderheit der Kreuzzügler ausgeliefert`. Wehrlos unterliegen sie in der `Machtprobe` (SPIEGEL-Titel) den mit Kopftüchern bewaffneten Amazonen. Es ist Krieg. In einer solchen Situation wäre Toleranz gegenüber einer Minderheit Pseudotoleranz. Lasst uns die Toleranz von Minderheiten abschaffen, also die Toleranz selbst, und die individuelle Pseudofreiheit gleich mit, um die "schleichende Einführung der Scharia in Deutschland" gerade noch zu verhindern!
Wenn die Lage so ernst ist, wieso soll dann eigentlich nur die Schule kopftuchfreie Zone sein, warum nicht auch die Straße, die Busse, das Kino, die Moschee? Alice klopft auf den Bush: Kopftuchjagd als Fortsetzung des war on terror!

Viel Ehre für ein Stück Stoff. Vielleicht das Kopftuch doch ein bisschen zu hoch gehängt? Wenn sich dahinter so Schlimmes verbirgt - Verfassungsfeindlichkeit, Mission am falschen Ort, Unterdrückung von Frauen - warum bekämpfen wir nicht lieber das und lassen Kopfttücher Kopftücher sein und schenken unsere Aufmerksamkeit stattdessen den Personen, die sie tragen, oder auch nicht tragen?

Respekt für Alice an anderen Fronten, aber auch Vorsicht: Emanzipation an der einen wird leicht zur Repression an der anderen. Man hat das Dialektik der Aufklärung genannt.

Kurze Moral der Geschichte:
Alice, weil wir keine `Zwangsverschleierer` wollen, müssen wir noch lange keine Kopftuchjäger werden.