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Leserbriefe

Sonntag, 28.09.2003



Reiner M.:Gerichtsurteil bewirkt Ungleichbehandlung schrieb:


Nach den schrecklichen Erfahrungen mit der extrem fremdenfeindlichen Nazi-Diktatur sollte man eigentlich annehmen, dass deutsche Gerichte seitdem jegliche Fremdenfeindlichkeit äußerst strikt verurteilen - sei es gegenüber fremdem Nationalitäten, Hautfarben - oder aber auch Weltanschauungen!

Aber stattdessen hat nun sogar das höchste deutsche Gericht ein solches fremdenfeindliches Urteil erlassen; und zwar, indem es einerseits sogar ausdrücklich hervorhebt, dass `christliche Bezüge` bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht verboten sind (also z.B. auch nicht
das deutliche Kreuztragen von christlichen Lehrkräften) - andererseits aber ebenso ausdrücklich erlaubt, dass nun Länderparlamente Gesetze erlassen können (einige Länder haben dies sogleich angekündigt), nach denen das entsprechende Kopftuchtragen von muslimischen Lehrkräften verboten ist.

Diese völlig ungleiche Behandlung von Lehrkräften hinsichtlich des Zeigens ihrer Weltanschauung ist in doppelter Hinsicht höchst skandalös:

Erstens verbietet sowohl Grundgesetzartikel 4 (`negative` Religionsfreiheit) jegliche Bevorzugung oder Benachteiligung irgendeiner Weltanschauung als auch der Europäische Menschenrechtsartikel 9 (der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich in Auslegung dieses Artikels eine `negative Religionsfreiheit` anerkannt und z.B. von einem `Schutz für Atheisten, Agnostiker und Unbeteiligte` gesprochen).

Zweitens ist diese Ungleichbehandlung auch darum so krass, da christliche Lehrkräfte das Kreuz freiwillig tragen - während z.B. die deutsche Lehrerin Frau Ludin einer islamischen Glaubensrichtung angehört, die das Tragen eines Kopftuchs auf Grund ihrer Interpretation des Korans als Verpflichtung(!) ansieht.



Die vom Grundgesetz und den Menschenrechte geforderte Gleichbehandlung kann bei religiösen Symbolen von Lehrkräften nur auf zweierlei Arten umgesetzt werden:

1. entweder werden alle verboten (dies trifft für Frankreich zu, wo im Regelfall neben dem Kopftuch auch die jüdische `Kippa` und das christliche Kruzifix verboten sind) - oder aber

2. dass alle erlaubt sind.

Ich bin für die letztere Möglichkeit, da nur so für Frau Ludin und ähnlich orientierte Gläubige ein ungerechtes Berufsverbot verhindert werden kann. Natürlich sollte mit dieser Erlaubnis die Verpflichtung verbunden werden, dass nicht versucht wird, die Schülerinnen
und Schüler hinsichtlich der eigenen Weltanschauung zu beeinflussen.



Ich hoffe - und geht davon aus -, dass dieses zutiefst ungerechte Messen mit zweierlei Maß recht bald rückgängig gemacht wird (z.B. auf Grund einer Menschenrechtsbeschwerde) - und dann in Zukunft kein deutsches Gericht mehr wagen wird, fremdenfeindliche Urteile im Weltanschauungsbereich zu verkünden. Nur so wäre es realisierbar, was das
Bundesverfassungsgericht selbst schon vor vielen Jahren als eine Grundforderung formuliert hat, nämlich, dass Deutschland eine `Heimstatt` für alle(!) seiner Bürgerinnen und Bürger sein muss (also nicht nur für Christen!).





Reiner Moysich (Agnostiker und Diplom-Psychologe)