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Leserbriefe

Dienstag, 22.06.2004



Khallad Swaid: Wehrhafter Staat gegen Terror schrieb:


Der Islamismus und die wehrhafte Demokratie sind in aller Munde und werden in der letzten Zeit meist in einem Atemzug genannt. Gerade nach den Anschlägen von Madrid, von denen sich alle muslimischen Institutionen in Deutschland distanziert haben und zum Teil schon bevor bekannt war, dass vermutlich die Täter der Al-Kaida zugerechnet werden, rufen viele Politiker nach der wehrhaften Demokratie. Ein Staat müsse sich gegen die so genannten Islamisten, Fundamentalisten und Extremisten zur Wehr setzen. Dabei reicht die Palette der Forderungen von verschärften Einreisebestimmungen, über die Erfassung von biometrischen Daten in Reisepässen, eine höhere Koordination zwischen den Geheimdiensten der westlichen Staatengemeinschaft, dem Einsatz der Bundeswehr im Inland, der Bobachtung von Moscheebesuchern durch Videoaufzeichnungen bis zur Sicherungshaft und Ausweisung von verdächtigen Personen. Das sieht mehr nach Aktionismus denn nach überlegtem Handeln aus.

Verständlicherweise haben die Menschen Angst, dass sie die nächsten sind, die von der Druckwelle einer Bombe getötet werden. Wer hat das nicht? Im Übrigen sind die Muslime die am meisten Leidtragenden durch Anschläge der Al-Kaida, da, ohne auch nur einen der Attentate zu verharmlosen, bis auf New York und Madrid alle Anschläge in Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung verübt worden sind. Es stellt sich die Frage was tun?

Sich über Grundsätze der Demokratie, wie der Unverletzlichkeit der Person, Rechtsstaatlichkeit und der Gleichheit vor dem Gesetz hinwegzusetzen, um sie zu schützen? Wäre das nicht ein Verrat an ihr und würde sie dadurch nicht ad absurdum geführt? Es mutet derweil schon seltsam an, wenn Politiker Gerichtsurteile gegen „Islamisten“ kritisieren und sie in Frage stellen weil sie Aufgrund Mangel an Beweisen für die Angeklagten positiv ausgegangen sind. Entweder man legt alles auf den Tisch oder die Urteile werden auf der Basis der vorliegenden Tatsachen gefällt. Gänzlich unverständlich ist es, wenn gefordert wird, dass Menschen auf Verdacht und ohne eine Möglichkeit der rechtsstaatlichen Überprüfung in Gewahrsam genommen bzw. abgeschoben werden sollen. Welches Rechts- und Menschenverständnis liegt dem zugrunde? Man braucht nur fünfzehn bis zwanzig Jahre in der deutschen Geschichte zurück zu gehen und sich in den östlichen Teil Deutschlands zu begeben. Weitere 40 Jahre zurück wären alternativ auch möglich. Das kann und darf nicht passieren!

Damit wäre aber die Frage, was zu tun wäre, immer noch nicht beantwortet. Wenn die Demokratie und damit unser Staat wehrhaft ist, dann müssen alle Bürger zusammenrücken und gemeinsam überlegen, wie dieses Problem zu lösen ist. Dabei muss intensiv über die Ursachen von Terrorismus gesprochen und praktische Lösungen erarbeitet werden. Was war zuerst, die Radikalität oder Ungerechtigkeit und welche Beziehung besteht zwischen beiden? Dies ist kein Versuch einer Entschuldigung sondern der einer Erklärung, um das Problem erst einmal begreifen zu können. Denn ohne die Gründe zu erörtern, was Menschen dazu bringt andere und sich selber in tausend Stücke zu bomben, wird alles was wir unternehmen nur oberflächlich sein. Unsere Sichtweise anderen Menschen und Völkern gegenüber muss von Grund auf überdacht werden, wenn es nicht weiter zu Verhaltensweisen wie im Gefängnis von Abu Ghreib kommen soll. Solche Art von Ungerechtigkeiten führen dazu, dass Menschen sich radikalisieren. Dies fällt vor allem ins Gewicht, wenn sie systematisch von Staaten verübt werden und nicht auf individuelle Einzelfälle zurückzuführen sind.

Sich mit Geschichte auseinanderzusetzen und Lehren daraus zu ziehen ist eine tiefgehende und möglicherweise schmerzhafte Prozedur. Wir in Deutschland haben im Laufe der Jahre diesbezüglich sicher eine ganze Menge an Erfahrung gesammelt. Im Übrigen wäre dies kein Prozess, der in einer globalisierten Welt nur in Deutschland stattzufinden hat, sondern überall. Aber wir können ja schon mal damit anfangen und anderen ein Beispiel sein.

An diesem Prozess müssen alle Bevölkerungsgruppen teilnehmen, auch und vor allem die Muslime! Alle Beteiligten haben dabei mindestens zwei Aufgaben zu bewältigen, einen Beitrag in ihre Bevölkerungsgruppe und einen in die gesamtgesellschaftliche Diskussion hinein. Beispielsweise müssen die Muslime durch Auseinandersetzung innerhalb der muslimischen Gesellschaft einem Denken den Nährboden entziehen, der Terrorismus befürwortet, egal wem gegenüber er verübt wird. Des Weiteren müssen sie ihre Erfahrungen, Bedenken und Gefühle aus dem innermuslimischen Dialog in diesen Prozess einbringen. Basis muss Gerechtigkeit und eine offener Austausch sein, in der face to face ernsthaft an Lösungen gearbeitet wird. Widerspruch ist nicht nur zu dulden, sondern per Definition verlangt. Schließlich ist eine lebendige Auseinandersetzung ein Markenzeichen der Demokratie. Das ist sicherlich keine einfache Prozedur, macht aber einen wehrhaften Staat aus.