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Dienstag, 11.03.2003 | Drucken |
Folgen-fuer-muslime
Das Kopftuch als Angstmacher Frankfurter Rundschau 8.03.03 schrieb:
Das Kopftuch als Angstmacher
Frankfurter Rundschau Vermischtes 8.3.2003
Frauen, die Kopftuch tragen, gehören inzwischen zum Stadtbild. So selbstverständlich ist der Umgang mit dem Stückchen Stoff, mit dem sich Muslima das Haar verdecken, aber nicht. Das Kopftuch hat hohen Symbolwert, ist sichtbares Zeichen von Religiosität. Spätestens seit den
Terroranschlägen in den USA sind viele dem Islam gegenüber skeptisch eingestellt.
"Das Kopftuch zieht eine Kette von Fragen nach sich", sagt Kulturanthropologe Heinz Schilling. Zumeist sei es in unseren Breiten negativ besetzt, reagiere das "Volksempfinden" - gerade nach deAttentaten vom 11. September - eher allergisch auf verschleierte Frauen. "Weil der Islam als Feindbild aufgebaut wird", so Professor Schilling, der an der Uni Frankfurt lehrt. Das Kopftuch rufe"latente Ängste" hervor. Verhüllte Frauen verkörperten den Islam und würden somit zu Repräsentatinnen eines Phänomens, das man nicht verstehe. Verunsicherung sei zumeist die Folge -weil die Menschen nicht deuten könnten, ob die jeweilige Person den Schleier als politisches, religiöses oder gesellschaftliches Symbol trage.
"Für viele Menschen, die mit dem Kopftuch konfrontiert werden, stellt es eine Belastung dar", hat Schilling beobachtet. Als religiöses Signal respektiert werde es von jenen, die sich mit dem Islam beschäftigt haben und über Hintergründe Bescheid wüssten. Übersehen beziehungsweise Ignorieren von Kopftuchträgerinnen - diese Reaktion könne aber auch darauf zurückgeführt werden, "dass man das Phänomen eigentlich nicht akzeptiert".
"Die Verschleierung wird von aber auch als gezielte Provokation empfunden", erklärt Wissenschaftler. Es werde vermutet, dass die Frau durch das Tragen eines Kopftuches auffallen möchte. "Das wird ihr wiederum nicht zugestanden." Für Mitteleuropäer sei der Islam der "fremdeste, unverstehbarste Glaube" . Die Europäer wollten, mutmaßt Schilling, nach dem sie viele Impulse in den Bereichen Musik, Essen oder Kleidung übernommen pickten sich deshalb das Kopftuch-Signal heraus, um sich die eigenen Vorurteile zu bestätigen: Kopftuchträgerinnen würden häufig als rückständig und inkompetent gedeutet. Noch bis in die Nachkriegszeit trugen - und tragen bis heute - auch hierzulande hart arbeitende, oftsozial benachteiligte, Frauen Kopftuch - etwa Bauernsfrauen. Die "besseren" Damen hingegen trugen Hut, erinnert Schilling. Deshalb sei es der Gesellschaft kaum zu vermitteln, dass jemand freiwillig ein Kopftuch trage.
Selbstversuch: Mit Kopftuch unterwegs in Frankfurt
Mich gibt es nicht mehr, ich bin unsichtbar - Frankfurter rundschau
Von Canan Topçu
Als ich morgens mit Kopftuch im Büro erscheine, sind die Kollegen und Kolleginnen verwundert. Manche sind sichtlich irritiert ob meiner Verwandlung, einigen verschlägt es die Sprache, andere wiederum können sich mit Kommentaren nicht zurückhalten. "Ach du liebe Güte, wie siehst du denn aus? "Was ist denn mit dir passiert?" - "Hast du Ohrenschmerzen?" - "Ist es deine persönliche Protestform gegen den drohenden Irak-Krieg?" Nein, es ist weder der "Knüppel des Patriarchats, der auf meinen Kopf eingeschlagen hat", wie ein Kollege mein Outfit ironisch kommentiert. Auch muss ich meinen Kopf nicht vor Wind und Wetter schützen, noch will ich künftig meinen Glauben für andere sichtbar praktizieren. Deswegen tragen ja zumeist muslimische Frauen heutzutage ein Kopftuch. Zumindest wenn kein anderer - zwingender - Grund eine Rolle spielt. Mich zwingt keiner. Es ist schlichtweg ein Selbstversuch. Ich möchte wissen, wie es sich in Frankfurt mit Kopftuch lebt und wie andere auf mich als Verschleierte reagieren.
Bevor ich die Wohnung verlasse, setze ich also das Tuch auf, das ich vor Jahren in Istanbul gekauft habe. Sonst nutze ich es als Accessoire, elegant um die Schultern geschlagen. Es ist ein reichlich mit Ornamenten geschmücktes Seidentuch in dezenten Farben, ein 1,20 auf 1,20 Meter großes Stück Stoff, mit dem türkische Mittelschicht-Frauen in der Öffentlichkeit den Kopf verdecken. Maschinell gewebtes Statussymbol mit Blumenmuster.
Ich weiß, wie das Tuch um den Kopf zu legen ist, bin schließlich in der Türkei mit diesem "Kulturgut" aufgewachsen, brauche dafür also keine Anleitung. So selbstverständlich ist das aber hier zu Lande nicht. Auf Internet-Seiten erhalten Frauen detailliert in deutscher Sprache Anweisungen darüber, wie und mit wie vielen Nadeln das Tuch am Kopf sicher sitzt.
So einfach, wie ich es mir zunächst gedacht habe, erweist sich das Kopftuchtragen dann aber doch nicht. Es kostet mich ganz schön viel Überwindung, mit bedecktem Haupt auf die Straße zu gehen. Erstaunlich, wie sehr sich ein Stück Stoff auf das Verhalten auswirkt - nicht nur auf das der anderen, auch auf mein eigenes. Denn kaum dass ich das Tuch um meinen Kopf binde, bin ich nicht mehr ich. Und das keinesfalls nur äußerlich. Meine Körperhaltung wird eine andere, stelle ich an meinem Spiegelbild fest; zudem bewege ich mich langsamer, drehe meinen Kopf nicht mehr ohne weiteres hin und her. Es liegt bestimmt auch daran, dass das Tuch die Bewegungsmöglichkeiten einschränkt und ich eben so gar nicht daran gewöhnt bin. Das allein aber, mutmaße ich, ist wohl nicht der Grund. Die Verhüllung verursacht das Zurücknehmen meines Selbst.
Der erste öffentliche Auftritt in der U-Bahn. Das Abteil ist voll. Nur mich gibt es nicht. Ich bin unsichtbar. Niemand schaut mich an. Es gibt kaum einen Augenkontakt - weder mit den Leuten in der U-Bahn, noch mit Passanten in der Innenstadt und mit Verkaufspersonal in Geschäften. Und wenn sich mal die Blicke treffen, dann gerade mal für eine Tausendstelsekunde. Ruck, zuck wenden sich die Augen von mir ab, schauen schnell zur Seite oder durch mich durch.
So hatte ich es mir wirklich nicht vorgestellt. Ein paar neugierige Blicke wird es gewiss geben, dachte ich, als ich morgens die Wohnungstür hinter mir zuschloss. Bestimmt werden einige verunsicherte und möglicherweise auch ein paar verachtende Augen auf mich gerichtet sein. Mich jedenfalls packt jedesmal die Neugier, wenn ich junge Kopftuchträgerinnen sehe. Die Frage geht mir durch den Kopf, ob sie sich wohl fühlen in Frankfurt.
Unwohl fühle ich mich mit Kopftuch in der Innenstadt nicht, laufe mehrere Stunden durch die Einkaufsmeile, betrete ein Geschäft nach dem anderen. Jedenfalls erlebe ich nichts Unangenehmes während der Feldstudie. Wie denn auch? Mich gibt es ja nicht. Ich bin unsichtbar. So verhalten sich jedenfalls die Leute um mich. Keine blöden Sprüche, die ich mir anhören muss, keine abweisenden Gesten. Meine Anwesenheit löst keine Reaktionen aus. "Kann ich Ihnen helfen?" Im Schuhgeschäft auf der Zeil spricht die Verkäuferin so ziemlich jeden an, der nach mir den Laden betritt. Mich fragt sie nicht, obwohl ich um die Regale mit roten, braunen und blauen Schuhen kreise und nicht gerade den Eindruck einer zielsicheren Kundin abgebe. Nicht anders ergeht es mir in einer Boutique in der Goethestraße. Ich werde dort nicht einmal begrüßt. Was in dem kleinen Geschäft - wie ich es von sonstigen Bummeltouren weiß - sonst nicht versäumt wird. Beim Optiker setze ich zehn bis 15 Sonnenbrillen auf, ohne dass sich ein Angestellter mir eratend zu Seite stellt. Mich gibt es nicht. Nicht im Self-Service-Restaurant der Commerbank-Plaza, wo um die Mittagszeit jeder freie Platz begehrt ist. Ich aber sitze allein an einem Vierertisch und kann - so könnte man es auch betrachten - ungestört Vor-, Haupt- und Nachspeise zu mir nehmen. Mich gibt es auch nicht im Haushaltswarenladen, wo ich lange Zeit an Regalen mit Meißen- Geschirr und Hermes-Vasen verweile.
Das Kopftuch, stelle ich im Laufe des Tages fest, hat auch sein Gutes. Dann wird man nicht von Verkäufern angesprochen, kann ganz in Ruhe bummeln, Schuhe anprobieren, Brillen aufsetzen oder auch sich ungestört über Preise von Porzellan informieren.
Wenn mir muslimische Frauen erzählten, dass sie sich mit Kopftuch frei fühlen, habe ich es ihnen nicht abgenommen. Nach meinen eigenen Erlebnissen verschiebt sich der Standpunkt. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es sich nur um ein zurechtgelegtes Argument handelt, um die Verhüllung zu verteidigen. Ich jedenfalls bekomme eine Ahnung davon, was mit dieser Freiheit gemeint sein könnte. Verhüllt fühle auch ich mich frei in der Öffentlichkeit, zumal ich in Ruhe gelassen werde.
Mich gibt es nicht, aber nur so lange, bis ich es nicht mehr will und die Leute - sei es im Geschäft, im Café oder auf der Straße - selbst anspreche. Die meisten sind dann eher überrascht, von einer Kopftuchträgerin in gutem Deutsch angeredet zu werden. Unfreundlich ist aber niemand. Jedenfalls mir gegenüber nicht. Das mag daran liegen, dass ich mich mit ihnen verständigen kann. Wie sich eine Verhüllte fühlt, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist, weiß ich allerdings nicht. Auch nicht, warum ich als Kopftuchträgerin unsichtbar geworden bin. Ist es Ignoranz, Toleranz oder gar Respekt, weil das Tuch als Signal gedeutet wurde, dass ich in Ruhe gelassen werden möchte? Vielleicht ist es einfach nur Verunsicherung.
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