Leserbriefe |
Donnerstag, 07.09.2006 | Drucken |
Leserbriefe
Issa Tobias Wobisch schrieb:
Islam und Terrorismus
„Wenn Anschläge von Muslimen begangen werden und von diesen mit dem Islam gerechtfertigt werden, dann hat Terrorismus etwas mit Islam zu tun, auch wenn sich die Verbände in Deutschland davon distanzieren“ – diese und ähnliche Behauptungen, zuletzt in diesem Forum von Herrn Pachs aufgestellt, immer wieder aber auch in den Medien und von Politikern, sind auf den ersten Blick recht eingängig und scheinbar nicht zu widerlegen.
Es wird gefolgert, dass wenn einige Muslime gewaltbereit sind (mögen es auch noch so wenige sein) und andere nicht, die Gewalt in der Vereinigungsmenge (math.) aller Muslime, somit also auch im Islam eine Rolle spielt.
Solch apodiktische Logik bedarf der näheren Betrachtung, da so dem Islam immer wieder eine prinzipielle Gewaltimmanenz unterstellt wird.
Der Verweis darauf, dass von Angehörigen aller Religionen in dieser Welt Gewalt ausgeht, wird stets so gekontert, dass niemand seine Gewalt z.B. mit der Bibel begründe, was heutzutage überwiegend zutreffen mag.
Tatsächlich kommt mir aus dem Neuen Testament keine Stelle in den Sinn, an der Gewalt gerechtfertigt wird, einmal abgesehen davon, dass Jesus Händler aus dem Tempel vertrieb.
Stattdessen ist das öffentliche Bewusstsein über die christliche Bibel viel mehr von der Lehre geprägt, dass dem, der einen auf die eine Wange schlägt, auch die andere hinzuhalten sei.
Ein generelles Recht auf Selbstverteidigung wird nicht erwähnt, geschweige denn differenziert ausgeführt. Der gläubige Christ erfährt in der Bibel nicht, ob und wie er einen Angreifer, der z.B. seine Familie bedroht, abwehren darf. Dies ist an dieser Stelle nicht polemisch gemeint oder als Kritik zu verstehen.
Da die Bibel bzw. das Neue Testament aber hierzu keine Ausführungen macht, kann ihr Gewaltimmanenz nicht einmal unterstellt werden (beim Alten Testament sähe dies wieder ganz anders aus). Dennoch würde wahrscheinlich die überwiegende Mehrheit der Christen nicht bestreiten, dass Gewaltanwendung in bestimmten Situationen gerecht und daher auch gerechtfertigt ist. Aber: Jemand der z.B. einen Vergewaltiger in Notwehr erschießt, wird wahrscheinlich von vielen Menschen Verständnis und Solidarität erfahren, aus der Bibel heraus wird er sein Handeln jedoch nicht begründen können.
Der Koran und somit auch der Islam legitimieren Gewalt in bestimmten Situationen.
Im Islam ist es legitim (und auch so benannt), einen Angreifer abzuwehren und einen Straftäter zu bestrafen. Dies schafft Gerechtigkeit und Gerechtigkeit schafft Frieden. Auf diese Weise ist „Gewalt“ ein Thema im Islam, wenn man es auf diese Formel verkürzen möchte.
Allerdings ist es aber so, dass der Islam den Einsatz von Gewalt an viele einschränkende Bedingungen knüpft.
Der Muslim, der sich verteidigt, macht dies also im Bewusstsein, dass seine Religion dies in bestimmtem Maße billigt, wenngleich sie ihm Sanftmut und Güte empfiehlt.
Der Christ, der sich verteidigt, hat wahrscheinlich kein schlechtes Gewissen, hat aber durch seine Religion keine konkreten Grenzen vorgegeben, weshalb er von vornherein nicht die Möglichkeit hat, sein Handeln diesbezüglich mit seiner Religion zu rechtfertigen (von Ausnahmen einmal abgesehen).
Der schlecht informierte Muslim kennt nicht die engen Grenzen der legitimen Gewalt, abstrakt ist ihm nur bekannt, dass Gewalt im Islam gerechtfertigt ist, wenn sie der Gerechtigkeit dient.
An dieser Stelle hat er das gleiche Problem wie Christen und Atheisten:
Er bleibt seinem persönlichen Gefühl von Gerechtigkeit überlassen, ist aber dennoch bereit, sein Handeln mit dem Islam, den er als Synonym für Gerechtigkeit sieht, zu begründen, da er weiß, dass Gewalt im Islam „vorkommt“.
Somit sind im Islam bestimmte Prinzipien vorhanden, die, entsprechend gebeugt, zu ungerechtfertigter Gewaltanwendung führen können.
In der Bibel gibt es kein ähnliches Prinzip, das derart zur Beugung einlädt, was begründet, warum christliche Gewalttäter ihre Taten nicht biblisch zu begründen suchen.
Das eigentliche Problem ist also die Beugung islamischer Quellen aus Unkenntnis oder Ignoranz.
Diese führt z.B. zu Selbstmordattentätern, die einem Milieu des Elends und der Verzweifelung entstammen, die womöglich einen festen Glauben, aber schlechte Kenntnisse über den Islam besitzen. Oder zu gebildeten, dekadenten, bürgerlichen Nihilisten, die sich in quasi zwangsneurotischem Selbstverwirklichungsdrang zu Anschlägen entschließen, die allerdings, ebenso wie ihre unterprivilegierten „Terrorkollegen“, in Unkenntnis oder Ignoranz der islamischen Quellen handeln.
Es ist sonnenklar: Jemand, der einen Anschlag plant, bei dem wahllos möglichst viele Menschen verschiedener Nationen und Religionen getötet werden sollen, macht dies nicht aus Gewissenspflicht nach sorgsamer Abwägung religiöser Quellen, sondern aus Faszination an der Destruktion, am Chaos und am Elend, ähnlich, wie sich ein Pyromane am selbst gelegten Feuer ergötzt.
Die Vorstellung eines einstürzenden Hochhauses, eines abstürzenden Flugzeugs oder sonstiger apokalyptischer Szenarien als Resultat eigenen Handelns befriedigt den zur Obsession gewordenen Wahn, etwas beeinflussen zu wollen, Spuren in der Geschichte zu hinterlassen.
Die Inanspruchnahme der Religion bietet dabei ein Alibi, dass die eigene Zerrissenheit, abgrundtiefe charakterliche und menschliche Verkommenheit und den Mangel an Barmherzigkeit pseudoavantgardistisch und pseudomoralisch übertüncht.
Das Bestreben, mehr sein zu wollen als ein Molekül im Meer der Ewigkeit, sich anmaßend gottähnlich in den Lauf der Welt eingreifen zu wollen, statt bescheiden und geduldig auf die Gerechtigkeit Gottes zu vertrauen, was nicht Passivität meint, enttarnt die nihilistisch areligiöse Perspektive der Attentäter.
Ebenso wie es z.B. seinerzeit die Terroristen der RAF taten, wird offiziell vorgegeben, dass die Schandtaten einer höheren Gerechtigkeit dienten. Das psychologische Motiv dafür, selbstgefällig die Rolle des Rächers zu übernehmen, als isolierte Minderheit gewalttätig gegen die Interessen der Mehrheit zu agieren und dies als Dienst an der Gerechtigkeit zu etikettieren, ist aber kein ausschließliches Phänomen unter denjenigen, die sich mit ihren Taten auf den Islam berufen.
Wer den Islam daran misst, dass in seinem Namen Verbrechen verübt werden, der sollte diese Maßlatte auch an „Gerechtigkeit“, „Demokratie“ und „Freiheit“ anlegen, in deren Namen die abscheulichsten Verbrechen begangen wurden und werden.
(Bezogen auf „Demokratie“ wurde ja aus dem Irak z.B. bekannt, dass diese abgelehnt wird, insofern sie als Parole derjenigen wahrgenommen wurde, die für die Folter in Abu Ghraib verantwortlich sind)
Nein, der Islam ist ebenso wenig für den Missbrauch seines Namens verantwortlich wie Gerechtigkeit und Demokratie, sei es durch Einzeltäter, Gruppen oder Regierungen.
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