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Dienstag, 27.11.2001

Leserbriefe



K.-H. Scha. schrieb:



Sehr geehrter Herr Schami,
ich habe das Interview, dass Sie der Stuttgarter Zeitung gegeben haben, aufmerksam gelesen. In einem Punkt gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht. In den reichen Ländern der Erde muss dringend über eine gerechtere Verteilung der Chancen zu mehr Wohlstand für die unterentwickelten Länder nachgedacht werden. Diesem Prozess müssen dann auch selbstverständlich Taten folgen. Das kann und darf aber keine Einbahnstrasse für materielle Zuwendungen von den reichen zu den unterentwickelten Ländern der Dritten Welt führen. Wenn die Strukturen und das wirkliche Demokratie - Bewusstsein in diesen Ländern nicht verändert werden, können die Probleme nicht gelöst werden. Es ist sicher kein Vorurteil, wenn man feststellt, dass gerade in diesen Ländern der Unterschied zwischen dem allgemeinen Volk und deren Repräsentanten, was den Wohlstand betrifft, sündhaft groß ist. Man hörtimmer wieder von enormen Guthaben (gewaschen oder ungewaschen) auf Bankkonten in den so genannten Steueroasen, die den Führungspersonen dieser Staaten gehören. Man darf sich nicht vorstellen, wieviel Elend und Blut an diesen Geldern klebt und das in zweierlei Hinsicht. Erstens bei der Beschaffung, wenn man die Menschen um die Früchte ihrer Arbeit bringt und zweitens bei der Verwendung für den Machterhalt mit staatlicher Gewalt durch Polizei und Militär. Es ist doch offensichtlich, dass für diese Zwecke immer reichliche Mittel vorhanden sind. Auch der Multimillionär bin Laden gehört zu dieser Kategorie Führungspersonen, die unsägliches Leid über die Menschen gebracht haben. Viele hoffnungsvolle, wertvolle, junge Menschen hat er zum Selbstmord verführt. Die Legitimation dazu hatte er bestimmt nicht aus dem Islam. Das er jetzt, wo er selbst in Gefahr ist, flüchtet, sagt alles über seine Persönlichkeit.
Ich schreibe das nicht um irgendein Klischee zu bedienen. 1961 bin ich als Wehrdienstverweigerer nach zwei Verhandlungen anerkannt worden. Das war zu der Zeit bedeutend schwieriger als heute. Seit dieser Zeit beobachte ich die Entwicklung der geschilderten Problematik mit Interesse. Ich habe ein Patenkind in Nepal und spende regelmäßig für andre Projekte. Jetzt aktuell für Afghanistan. Dabei ist die Erkenntnis deprimierend, dass alle Spenden und Verzichte die Situation in den armen Ländern nicht verändern, solange die Menschen dort entmündigt, gedemütigt und unterdrückt werden.
Die terroristischen Anschläge im Oktober haben mich tief erschüttert. Als Pazifist brauchte ich eine ganze Weile um mich neu zu orientieren. Heute weiß ich, dass es keinen anderen Weg als den der Gewalt gegen den Terrorismus geben kann. Ein Stillhalten und Verhandeln hätten diese Art Menschen als Schwäche durch Verwundbarkeit ausgelegt. Ich bin überzeugt, dass ohne die konsequente Reaktion diese Art des Terrors kein Ende gefunden hätte.

Ich habe die Hoffnung, das die verschiedenen Strömungen um Macht und Einfluss der Führer der Clans und Stämme überwunden werden zu Gunsten einer demokratischen, afghanischen Gesellschaft. Nur dann kann die hoffentlich kommende, humanitäre und wirtschaftliche Hilfe eine dauerhafte Verbesserung der Situation der Menschen dort bewirken. Das wäre sicher auch im Sinne des gelebten Islams.

K.-H. Scha. d. 21.11.2001


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